�Ich wollte von Anfang an die Kulturtechnik des Kopierens loben.� Dirk von Gehlen, Chefredakteur von Jetzt.de und Social-Media-Redakteur bei der �S�ddeutschen Zeitung� �ber das gute Leben, Urheberrechtsdebatten und Crowdfunding.
Herr von Gehlen, ist Ihr Blog �Erkl�re mir das gute Leben…� ein Imperativ des Offline-Lebens?
Nicht zwingend. Meine Frau und ich kamen mal zu der Frage, �was macht ein gutes Leben aus?� als unser Sohn geboren wurde. So entstand die Idee zu dem Blog, denn zu der Frage sollte eigentlich jeder eine Antwort haben � online wie offline.
Wie ist das Verh�ltnis Ihres Blogs �ber Offline-Leben zur digitalen Welt?
Im schlimmsten Fall kann man es als eine Verl�ngerung interpretieren. Zumindest haben mich Leute schon darauf angesprochen, ob ich jetzt die Erziehung meines Kindes auch noch ins Digitale auslagern w�rde. Das will ich aber nat�rlich bewusst nicht. Umgekehrt ist aus diesem Blog, aus dieser lustigen kleinen Online-Idee am Ende sogar ein �richtiges� Buch entstanden. Das ist f�r mich auch ein wenig der Zauber dieser neuen Medien: man hat eine kleine Idee, kann sie ausprobieren und bei der einen oder anderen entsteht daraus tats�chlich auch was Gr��eres.
In Ihrem Buch �Mashup � Lob der Kopie� nehmen Sie bewusst die Bef�rworter-Position, was das digitale Kopieren angeht?
2007 habe ich angefangen zu dem Thema zu recherchieren. Damals war das noch nicht so hei� diskutiert. Jetzt nach den ACTA-Protesten und der Piraten-Diskussion in Deutschland kocht alles wieder hoch. Mich st�rt es, wenn Leute sich zum Kopieren �u�ern, ohne zu sagen von welcher Position aus sie das tun. Ich wollte von Anfang an die Kulturtechnik des Kopierens loben. Diese Kulturtechnik hat einen sehr grundlegenden Charakter und sollte eine st�rkere Verbreitung erfahren. Ich lese auch gerne B�cher von Menschen, die sagen � Ich habe eine Grundthese und von der aus schaue ich mir die Welt an. Ich mag es, wenn Autoren sich festlegen und dann sagen � nach meiner Recherche bin ich zu dem Ergebnis gekommen.
In Ihrem Blog wurde auch ein Bild mit dem Schriftzug �Make More Mistakes� verlinkt…
Ich habe ein sehr interessantes Gespr�ch mit dem M�nchener Komponisten Moritz Eggert gef�hrt. Der hat mir einen Begriff geschenkt, der mit diesem �Make Mor Mistakes�-Bild zusammenh�ngt. Moritz sagt n�mlich � Kunst entsteht immer aus einem �wilden Raum�. Also, aus einem Bereich, wo man auch Fehler machen darf. Andy Warhols Suppendosen w�ren heute nicht m�glich, weil dies als Urheberrechtsverletzung abgemahnt worden w�re. Diese verst�rkte Abmahnkultur, f�hrt dazu, dass der wilde Raum verkleinert wird. Das Ausprobieren, das Grenzensprengen, auf dem Kunst und Kultur schon immer basiert haben, wird schwieriger. Und das ist einer der Gr�nde, warum ich die Kopie inhaltlich auch lobe.
Ich m�chte sagen � Lasst uns die Remix-, die Mashup-, ich nenne es eher als Referenzkultur nicht juristisch eind�mmen, weil wir damit vielleicht mehr kaputt machen, als uns lieb ist. Dabei will ich den berechtigten und notwendigen Schutz des Urheberrechtes �berhaupt nicht in Abrede stellen. Mit der digitalen Kopie stehen wir vor einer besonderen Situation, vor einer historischen Ungeheuerlichkeit. Wir wissen noch nicht genau, wie wir damit gesellschaftlich, k�nstlerisch und auch juristisch umgehen sollen. Und ich w�rde gerne daf�r werben, L�sungen zu finden, die nicht gegen, sondern mit der Kopie arbeiten. In den letzten 10-15 Jahren haben wir erlebt, dass alle Versuche restriktiv gegen das Kopieren vorzugehen eigentlich gescheitert sind.
Wer sind denn die Akteure heutiger Urheberrechtsdebatten? Wer ist Bef�rworter und wer Gegner des restriktiven Weges?
Das Spannende ist, dass da ein Akteur auftaucht, der zwar immer genannt wurde und immer eine wichtige Rolle spielte, aber bisher nie aktiv geworden ist: der Rezipient, das Publikum, die �ffentlichkeit.
Mit dem Internet ist in der Geschichte der Menschheit ein relevanter R�ckkanal entstanden. Man hat das demokratie- und kommunikationstheoretisch zwar vorher schon immer besprochen, aber nun kann sich der Leser, der Zuh�rer, der Rezipient sehr praktisch beteiligen. �berspitzt habe ich das mal so formuliert: �Pl�tzlich sind wir alle Urheber.� Jeder ist theoretisch ein K�nstler, jeder kann �ffentlichkeit herstellen, etwas publizieren. Die Unsicherheit, die wir als Gesamtgesellschaft im Umgang mit der digitalen Kopie haben, f�hrt dazu, dass ein Vakuum entstanden ist. Und von dem profitiert weder der K�nstler, noch das Publikum. Gerade die junge Generation hat eine schwindende Einsicht in die Notwendigkeit des Urheberrechts. Und das macht mir am meisten Sorgen, dass die Menschen nicht mehr einsehen, warum das Urheberrecht relevant ist. Ich als jemand, der auch von Kreativit�t lebt, ich m�chte, dass die Menschen verstehen, warum es notwendig ist, dass das Urheberrecht eine legitimierte Grundlage hat. Wir werden nicht davon leben, wenn wir jede Urheberrechtsverletzung einzeln verfolgen. Nur wenn man die Lebensrealit�t der Menschen anerkennen wird, gelingt es, dass die Menschen sagen � stimmt, Urheberrecht ist notwendig. Und diese Lebensrealit�t besteht eben darin, dass seit der Digitalisierung Inhalte sich vom Tr�ger l�sen und somit kosten- und verlustfrei verbreiten werden k�nnen.
Warum ist denn ein Dialog so schwierig oder gar unm�glich?
Meinem Gef�hl nach besteht das Hauptproblem in der Kommunikation. Es ist der digitale Graben, das mangelnde Vorwissen. Man bedient sich auf der einen, wie auf der anderen Seite der Vorurteile und Klischees. In Deutschland wurde unl�ngst sehr ausf�hrlich diskutiert, ob prominente Mitglieder der Piraten-Partei B�cher in klassischen Verlagen ver�ffentlichen d�rfen. Mit dieser Debatte kann man sich sehr lange besch�ftigen, aber sie l�st das Grundproblem nicht. Mehr noch, sie geht komplett am Thema vorbei. Wir m�ssen die Frage stellen: Wie gehen wir mit der digitalen Kopie um? Suchen wir L�sungen gegen die digitale Kopie? Oder suchen wir L�sungen mit der digitalen Kopie?
Wie werden diese Probleme konkret im Journalismus gel�st?
Man steht vor der Herausforderung, sein Verh�ltnis zum Publikum neu zu definieren. Das sind letztendlich doch die Leute, die f�r das Endprodukt bezahlen. Ich stelle fest, dass im Journalismus in dem letzten Jahr eine Ver�nderung eingetreten ist. In Deutschland sind jetzt auch sehr viele Politiker auf Twitter aktiv geworden. Viele Journalisten ziehen nach. Man merkt, dass Twitter eben keine eindirektionale Form der Kommunikation ist, sondern dass Menschen antworten k�nnen. Als Journalist muss ich mich dieser Kommunikation stellen und ich muss in den Dialog kommen.
Und was sind Gesch�ftsmodelle im digitalen Raum? Was sind Gesch�ftsmodelle, die auch f�r den Journalismus Zukunft haben? Diese liegen in einer Spielart dessen, was im Dialog mit dem Publikum stattfindet. Es ist sehr spannend, wie sich in Deutschland gerade Crowdfunding-Projekte, wie StartNext.de entwickeln. Hier arbeiten Leser und Autoren zusammen an einem Produkt. In diese Richtung m�ssen wir, als Journalisten sehr viel st�rker gehen, uns klarer machen, wer sind eigentlich Leute, die wir erreichen wollen? Warum schenken diese Leute uns ihre Aufmerksamkeit? Wie begr�nden wir den gegen�ber unsere Autorit�t?
Crowdfunding und Beteiligung am Schaffungsprozess sind also die L�sungen zurzeit?
Ja, deswegen habe ich mein aktuelles Buch �Eine neue Version ist verf�gbar� dar�ber begonnen. Die digitale Kopie stellt uns einerseits vor die juristischen Herausforderungen. Diese werden intensiv diskutiert. Die zweite Frage ist aber, wie ver�ndert sich eigentlich das kulturelle Produkt durch die digitale Kopie? Es ver�ndert � so glaube ich � seinen Aggregatzustand. Als Kreativer, als K�nstler, als Journalist, als Autor kann man heute den Entstehungsprozess transparent machen. Man kann Versionen offen legen, wie bei Softwareversionen. In der Wikipedia sehen Sie beispielsweise die Versionshistorie von Texten. Das ist technologisch sehr einfach m�glich. Und darin steckt meiner Meinung nach eine gro�e Chance. Dazu z�hlt aber, dass wir den Prozess umdrehen m�ssen. Also, dass wir nicht sagen: Der K�nstler entwickelt das Kunstwerk im Geheimen. Das Publikum beteiligt sich schon ab dem Zeitpunkt der Entstehung an dem Kunstwerk oder an dem Produkt.
Beim Fu�ball kann man am Ende das Ergebnis bewerten und sagen � das Spiel ist jetzt mit 1:0 ausgegangen. Aber Menschen begeistern sich f�rs Fu�ball nicht nur wegen der Ergebnisse, sondern wegen der Prozesse, die zu dem Ergebnis f�hren: wegen des Spiels, das unkopierbare Momente schafft. Wir m�ssen glaube ich den Blick mehr auf das Spiel richten.
Werden bei Jetzt.de, deren Hauptredakteur Sie sind, neue journalistische Modelle ausprobiert?
Jetzt.de versucht Leser der S�ddeutschen Zeitung von morgen zu gewinnen. Und der Hebel, mit dem wir das machen ist, dass wir Leser einladen bei uns mitzuschreiben. Jetzt.de ist eine Mitschreibe-, Mitmach-Community. Unsere Leser k�nnen sich in dieser Community austauschen und selber �ber ihr eigenes Leben erz�hlen. Die Redaktion w�hlt Geschichten aus, pr�sentiert die gedruckt und auf der Webseite. Wir versuchen so den Gedanken der Beteiligungskultur, der Read-Write-Society tats�chlich auf dieser Plattform in die Tat umzusetzen.
Danke sch�n f�r das Interview!
Dirk von Gehlen, geboren 1975, ist Chefredakteur von Jetzt.de und Social-Media-Redakteur bei der �S�ddeutschen Zeitung�. In seinem Buch �Mashup � Lob der Kopie� (Suhrkamp-Verlag 2011) tritt der Journalist f�r ein besseres Image der Kopie und gegen ihre Kriminalisierung ein.
Das Interview f�hrte Andreas Fertig
Goethe-Institut Russland
Oktober 2012
Dieser Artikel ist erstmalig auf den Seiten des Goethe-Instituts Russland http://www.goethe.de/Russland/Magazin erschienen.