Matthias Schneider-Hollek im Interview

К русской версии интервью: Интервью с Маттиасом Шнайдер-Холлеком

„Ich möchte die Geheimnisse lüften“ sagt Matthias Schneider-Hollek. Er ist Laptop-Artist und Komponist. In Stuttgart studierte er Querflöte und später Komposition mit dem Schwerpunkt Elektronische Musik. „Ich zeige wirklich alles, was ich da tu, um einen bestimmten Klang zu erzeugen“.

Herr Hollek, wie sind Sie zur Musik gekommen? Gab es ein Initiationserlebnis?

Das war ganz klassisch. In Deutschland passiert es oft, dass man in der Grundschule Blockfl�te zu spielen anf�ngt. Ein ganz wichtiger Schritt war aber, dass mein Bruder sich Ende der 1970er Jahre einen Schallplattenspieler und dazu seine erste LP Living in the Past von Jethro Tull gekauft hat. Dabei war Ian Anderson – ein ganz verr�ckter Querfl�tenspieler, der auf der Querfl�te Rockmusik gespielt hat. Ab diesem Moment war f�r mich absolut klar: Ich lerne auch Querfl�te spielen! Das habe ich die ganze Schulzeit �ber tapfer praktiziert. Dann auch ein Querfl�ten- und Kompositionsstudium mit dem Schwerpunkt Elektronische Musik in Stuttgart absolviert. Dort gab es ein elektronisches Studio mit einer ganz tollen Stimmung. Bei den Menschen dort herrschte nicht das unter Instrumentalisten verbreitete Konkurrenzdenken. Es gab einen ganz tollen Ansatz f�r das Musikmachen: man hat sich gegenseitig unterst�tzt und sich bei Problemen geholfen.

Daher auch diese, auf Ihrer Webseite beschriebene „fr�hzeitige Aversion und Abkehr von einer Konzertsaalkomponistenkarriere“? Welche Gefahr sehen Sie in der Akademisierung?

Mein Professor hat gleich gesagt, dass man Musikproduzieren und Kreativsein gar nicht studieren kann. Man kann nur Konstruktionsprinzipien studieren, aber es geht eigentlich gar nicht darum. Musik l�st immer sowohl bei den Zuh�rern, als auch bei Musikern die h�chsten Emotionen aus. Das ist ganz schwierig dar�ber zu reden und deshalb wird dies an den Akademien auch nicht gemacht. Dadurch wird das eigentliche Musizieren in Hintergrund geschoben.

Wie kann man aber diesem Vorwurf begegnen, die neue Musik sei irgendwie unverst�ndlich? Kann man diese Musik trotzdem kommunizierbar machen?

Das versuchen wir im Kreis meiner Musikerkollegen zum Beispiel mit einer Elektrominibarklingelton-Reihe. Seit sieben Jahren funktioniert es so, dass wir aus den Konzertveranstaltungen erstmal die Seriosit�t ein bisschen rausnehmen. Das hei�t, wir spielen in einem sehr intimen, kleinen Raum ohne die typische Aufstellung und Aufteilung von Musikern und Publikum. Dort stehen alle Instrumente, ein paar Sofas, ein K�hlschrank, wo man sich Getr�nke holen kann. Neudeutsch k�nnte man das als Lounge-Atmosph�re bezeichnen. Es gibt keine Distanz zu den Interpreten. Es gibt kein Backstage. Allein das beg�nstigt schon mal einen Dialog zwischen den Musikern und dem Publikum vor dem Konzert. Aber auch nach dem Konzert kann man sich auf einer Ebene, auf Augenh�he begegnen.

Sind solche Begegnungen vergleichbar mit Stra�entheater oder Public Art?

Genau. Oder damit, was Poetry Slam mit der Sprache macht. Im Prinzip hat man die M�glichkeit als Rezipient respektlos an die Kunst, Musik oder Theater heranzutreten. Ich bin eins zu eins mit den Ausf�hrenden da und muss keine Angst davor haben. Da geht es jetzt gar nicht um das Verstehen. Es geht viel mehr um Energie, die in so einem Raum oder so einer Situation da ist. Ich war vor langen Jahren in Georgien. Da wird man zum Essen eingeladen, sitzt in der Gruppe zusammen, und es ergibt sich ganz nat�rlich, dass man gemeinsam mit Volksmusikstrukturen anf�ngt zu singen, zu improvisieren. Am Ende werden zwei Stunden gesungen, und es ist ein unglaubliches Erlebnis dabei zu sein. Es ist wirklich gro�artig. Das ist pure Energie, pure Emotionen, pure Spiritualit�t, obwohl es eigentlich derbe Volkslieder sind.

Ist es jetzt in Zeiten der Globalisierung schwieriger geworden auf solche Energiestr�me zu treffen?

Ich glaube, es gibt schon eine gro�e Gegenbewegung dazu. Es geht auch darum, ob man sensibel genug daf�r ist. Viele Leute suchen das. Die Ruhe ist wieder wichtig, man l�dt Freunde ein und kocht f�r sie. Das ist dann ein Gegenentwurf zum Fastfood. Viele Menschen sind sie oft �berrascht, wenn sie �hnliches eben in der Musik wieder finden.

Sie arbeiten auch f�r Tanztheater und Film.

Es gibt viele Projekte, die ich sehr gerne mache, und es gibt aber auch welche, die ich ablehne. Momentan sind wir gerade in der Diskussion mit Freunden, ob wir bei einem Stra�entheaterprojekt mit gigantischen Puppen eine Art von Kommerzialisierung zulassen und uns beispielsweise den Fernsehshows zur Verf�gung stellen. Ich glaube, das ist auch eine ganz gro�e Gefahr. Ich bleibe lieber bescheiden und verzichte auf das Geld, aber ich mache wirklich das, was mich interessiert. Ich bleibe ein freier Mensch und lass mich nicht vom Mainstream vereinnahmen und bediene nicht das, was man dort von mir erwartet.

Was erf�hrt man in Ihren Workshops? Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

Mein Musikinstrument ist ja der Computer. In der klassischen Musik werden Computer immer noch als ein Fremdk�rper begriffen. Mein Wunsch ist einfach, dass eben auch diese technologische Entwicklung, wie ein Musikinstrument angesehen wird. Jemand, der Computer spielt hat dann genau die gleichen Rechte und auch genau die gleichen Pflichten wie alle anderen Musiker. In meinen Workshops stelle ich nat�rlich viel von dieser Technologie vor. Viele elektronische Musiker machen gern ein Geheimnis darum. Ich m�chte die Geheimnisse l�ften. Ich zeige wirklich alles, was ich da tu, um einen bestimmten Klang zu erzeugen. Es ist mir wichtig, dieses Handwerkszeug zu zeigen. Es ist genau so, wie wenn ich am Klavier zeigen w�rde, welcher Fingersatz f�r eine Chopin-Et�de vielleicht besser passt. Ich habe auch gemerkt, dass Hersteller von Musiksoftware oft eine sehr starke Eingrenzung in ihren Werkzeugen, in ihrer Software implementieren. Mit ein bisschen mehr Erfahrung kann man heute aber eine Entwicklungsumgebung nach seinen eigenen Vorstellungen bauen, sich dann quasi seine Software selber entwickeln.

Vielleicht k�nnen Sie gleich kurz das Set-Up beschreiben. Also, woraus besteht das? Das Set-Up, das Sie jetzt mitnehmen nach Russland.

Also, ich habe nur ein Laptop und ein Tablet dabei. Am Tablet kann ich mit allen Fingern spielen und Bewegungen vollf�hren um die Musiksoftware im Laptop zu steuern. Mit dem Tablet kann ich viel mehr Parameter gleichzeitig beeinflussen. Der Aspekt der Live-Elektronik ist mir aber am wichtigsten. Ich hab mehrere Mikrofone dabei, nehme das Spiel meiner Kollegen auf. Das geht dann direkt in den Computer und im gleichen Moment kann ich den Klang formen und beeinflussen. Dadurch ergibt sich ein Wechselspiel zwischen den anderen Musikern und mir. Das ist Improvisation. Hier ist nichts vorgefertigt.

Ist die Platte mit Klaus Burger auch in diesem Modus entstanden ?

Ganz genau. Das ist der Ansatz der Zusammenarbeit mit Klaus Burger, und nat�rlich auch mit Stefan Charisius. Die Blech- und anderen Blasinstrumente, wie das Didgeridoo von Klaus Burger oder die Cora, ein westafrikanisches Zupfinstrument, von Stefan Charisius, sind Instrumente, die es seit Tausenden von Jahren gibt. Die haben nat�rlich eine archaische Klanglichkeit. Dieses klangliche Spiel zu dem in eine Beziehung zu setzen, was heute technologisch unsere Welt und unsere Zivilisation ausmacht, erzeugt eine unglaubliche Spannung. Das digitale Formen dieser Kl�nge in Echtzeit interessiert mich unglaublich. Das ist das, was ich machen will.

Was erwarten Sie von der Stadt Perm?

Ich war schon �fter in Russland. Zun�chst 1992 in Sankt Petersburg, sp�ter mehrere Male in Perm mit dem freischaffenden Musiker und Tubisten Klaus Burger. Mich erwarten dort ganz tolle Menschen und ein fantastisches Interesse an meiner Arbeit. Was mir auch sehr gut gef�llt, ist, dass es eine gro�e Offenheit gibt, dass die Menschen vor Ber�hrungen mit etwas Neuem wenig Angst haben, was hier im Westen schon eher der Fall ist. Das Gucken nach etwas Neuem, das Neugierigsein ist hier leider ein bisschen versch�ttet.

Die Fragen stellte Andreas Fertig.
Goethe-Institut Russland
Januar 2013

Dieser Artikel ist erstmalig auf den Seiten des Goethe-Instituts Russland http://www.goethe.de/Russland/Magazin erschienen.

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