Jan Blomqvist – Hey, er singt!

Ян Блумквист – эй, да он поет!

Jan Blomqvist erzählt, warum er zum Beat singt, warum jeder Kreative auch kommerziell Fuß fassen muss, wann Musikerkollegen auch Freunde sind und wie Berlin auf seine Musik einwirkt.

Moskau, Shanti-Club. September 2012

Sie wurden sehr früh an die Musik herangeführt. Dann haben Sie Mathematik studiert, dies später aufgegeben und als Barkeeper gearbeitet. Wann haben Sie sich bewusst für die Musik entschieden?

Ich habe schon als Kind gesungen und durch meine Eltern viel mitbekommen. Meine Tante in München hat mir das Gitarrespielen beigebracht. Ich konnte dann mit zehn Jahren die Rolling Stones nachspielen. Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst, dass das irgendetwas Besonderes war. Ich habe dann, bis ich etwa 20 wurde, bei diversen Rockbands mitgespielt. Irgendwann faszinierte mich elektronische Musik. Es ging so weit, dass meine Band sich von mir getrennt hat. Einerseits war ich gezwungen alleine elektronische Musik zu machen, andererseits merkte ich schnell, dass mir das wirklich gut liegt.

Sie haben also nicht über Gesang zur Elektronik gefunden?

Der Gesang hat mich mein ganzes Leben lang begleitet. Gesang ist aber in der elektronischen Musik etwas Besonderes. Ich hörte plötzlich sehr oft: „Hey, er singt!“ In den anderen Musikrichtungen war es immer natürlich, dass man singt.

Sie werden oft mit organischer und warmer Elektronik in Zusammenhang gebracht. Streben Sie explizit einen besonders natürlichen, weichen Sound an?

Das kann sein. Grundsätzlich mache ich immer das, was mir gerade gefällt. Das ist mir ganz wichtig. Und natürlich ist es schön, wenn es dann im Stück letztendlich immer noch eine klare Linie gibt. Dass es organisch klingt, liegt wohl daran, dass ich gerade Bass- und Klaviernoten immer mit einem richtigen Instrument, also tatsächlich mit einem Bass oder mit einem Klavier, einzuspielen versuche. Man bekommt so eine ganz andere Dynamik, als dies mit einem Synthesizer der Fall wäre. Das darf man jetzt nicht falsch verstehen, denn Synthesizer sind auch richtige und eigentlich viel interessantere Instrumente. Ich mag es, mehrere Instrumente übereinanderzulegen, die synthetischen und die echten Klänge zu layern. Man kann dann nicht mehr unterscheiden, ob es zwei oder sieben übereinandergelegte Klänge sind. Genau das habe ich in den letzten Jahren immer gemacht und dass es jetzt als organisch beschrieben wird, ist dann wahrscheinlich auch richtig.

Sie spielen Ihren Set live, sind also kein DJ?

Ja, allein spiel ich nur live! Ich lege ganz selten mit Ryan Mathiesen aus Vancouver auf. Er ist DJ und ist jetzt mein Mitbewohner in Berlin. Mit ihm schreibe ich Texte. Wir haben schon mal über den Plan nachgedacht, dass wir uns zu einem DJ-Team zusammenschließen, obwohl ich dann hauptsächlich singen werde.

Interessiert Sie das DJ-Dasein gar nicht oder verpflichtet Sie die „alte Rocker-Ehre“ unbedingt ein Instrument zu spielen, wenn auch ein elektronisches?

Ganz ehrlich: Es ist mir egal. Es geht mir wirklich nur darum, welcher Sound am Ende herauskommt. Es kann sein, dass mir das in zwei Jahren zu langweilig wird und ich alles wieder beiseitepacke. Aber momentan geht es mir darum, den Sound, den ich gerade gut finde, in den Rechner zu bekommen und einen roten Faden in meine Stücke zu bringen.

Sie haben am Anfang erst mal Parts in anderen Produktionen übernommen. Was war für Sie bei dieser Arbeit wichtig? Das waren ja Ihre ersten kommerziellen Erfolge.

Für jeden Kreativschaffenden ist es wichtig, dass man endlich was rausbringt. Natürlich geht es in erster Linie ums Musikmachen und dass dies einen erfüllt. Aber man muss auch ehrlich sagen, dass es wichtig ist, kommerziell Fuß zu fassen. Und hier kommt eine Koproduktion mit anderen Musikern sehr wohl in Frage. Wenn man mit denen Freundschaft schließt, gerne miteinander ausgeht und gut miteinander reden kann, ist es natürlich umso besser. Dies geht weit über ein bloßes Networking hinaus. Wenn man seinem Motto treu bleibt und es um die Musik geht, so probiert man in einer Kooperation neue Arbeitsszenarien aus und lernt musikalisch unheimlich viel voneinander.

Haben Sie eigentlich jemand geremixt oder wurden Sie geremixt? Wie ist es für Sie, wenn Sie etwas Eigenes zum Remixen weggeben müssen?

Meine erste EP wurde geremixt von Niconé und die zweite war eine Koproduktion mit Philip Bader und Britta Arnold. Diese hat dann Niconé auch geremixt. Die nächste Produktion haben wir mit Niconé komplett zusammen gemacht. Wir schickten uns die Spuren einfach hin und her. Er wusste genau, dass er die Beats und ich die Melodie am besten kann. Mit Olli Koletzki haben wir auch eine gute Kombination. Das erste Mal, dass ich selber einen Remix gemacht habe, war Anfang 2012 für eine Schweizer Modern-Folklore-Band. So würde ich sie beschreiben. Der Remix war sehr erfolgreich. Und vor allem für mich, weil ich es doch geschafft habe, daraus etwas zu bauen. Denn am Anfang dachte ich: oh nee… Jetzt kann ich sagen, dass dieser Remix mir am besten gefällt. Auch in der Musik gibt es manchmal einen Prozess des Überwindens: Was man eigentlich gar nicht machen wollte, wird auf einmal gut und schön.

Setzt also das Überwinden von Hindernissen kreatives Potenzial frei?

Eigentlich habe ich es lieber, wenn sich alles relativ schnell so zusammenfügt, alles so klingt, wie ich es mir immer vorher im Kopf vorstelle. Es geht mir darum, diese Vorstellungen möglichst genau umzusetzen.

Wie viel Zeit brauchen Sie, um eine Idee festzuhalten, und wie viel, um sie dann umzusetzen?

Meine Stärke liegt darin, die Ideen zu generieren. Ich habe kein Problem mit dem Output. Ich habe gerade 35 Ideen, die ich auch schon teils aufgenommen habe. Bis die Idee steht, dauert es circa zwei Stunden. Dann vergehen teilweise bis zu drei Monaten, bis der Track fertig ist. Vielleicht bin ich da zu wenig offen für Experimente, denn manchmal ist es echt schwierig, die besagte Klangvorstellung genau umzusetzen.

Was ist Berlin für Sie? Ist das ein Faktor, der auf Ihr Musikschaffen einwirkt?

Extrem. Berlin verändert sich ständig und das ist für mich musikalisch total wichtig. Vor einiger Zeit stagnierte Berlin zwar, was die elektronische Musik anging, aber seit zwei, drei Jahren gibt es wieder neue Acts und neue Sachen. Man hat wieder Lust auszugehen. Aus meinem Empfinden heraus war Berlin zwischen 2005 und 2009 stilistisch durch Minimal dominiert. Der Durchbruch kam dann für mich mit Nicolas Jaar. Er brachte das Klavier in die Clubs. Dies hat für mich viele andere neue Türen geöffnet. Man stelle sich einen Baum vor, der einen Ast wirft und plötzlich sprießen aus diesem einen Ast ganz viele andere Äste heraus. Dieses Sprießen ist für mich Berlin.

Das ist dann die Frage nach der Funktion der Musik: Das kann ja auch das pure Tanzen sein. Vielleicht erfüllt Minimal dies am besten? Was ist die Funktion Ihrer Musik?

Diese Funktion ist mir auch wichtig. „Funktion“ hört sich total unromantisch an. Mir ist es wichtig, dass Musik Emotionen verkörpert. Das kann sie durchaus auch ohne Melodie, aber mir fällt es leichter, das mit Melodien auszudrücken.

Wie kommen Sie jetzt eigentlich zu dieser Einladung nach Moskau?

Der Shanti-Club hat mich auf dem Berliner Helene Beach Festival gesehen und wollte mich unbedingt hierherholen. Wir machten einen Termin aus und jetzt bin ich hier. Ich spiele die meiste Zeit in Deutschland, manchmal auch im Ausland: Griechenland, Schweiz, bald bin ich in Holland. Das Touren ist für mich Freizeit. Die Arbeit und der Druck finden im Studio statt. Die Shows sind aber auch anstrengend und mit wenig Schlaf verbunden. Gestern Nacht spielte ich noch in Hamburg, konnte dann im Flugzeug etwas schlafen und spiele heute in Moskau.

Wie können Sie Ihren Studioanspruch an den Klang auch auf der Bühne halten? Ist das nicht irrsinnig aufwendig?

Ich würde am liebsten mit einer richtigen Band spielen: mit einem Pianisten, einem Bassisten und einem Schlagzeuger. Auch als Band möchte ich keine Klangkompromisse eingehen. Das wird dann in der Tat schnell sehr aufwendig. Momentan spiele ich hauptsächlich alleine. Ich habe mir meine Stücke in Segmente aufgeteilt und mische diese dann live zusammen. Auf jeden Fall ist es viel Arbeit, den Track zuerst auseinanderzunehmen und dann wieder auf der Bühne live zusammenzubauen. Es ist dabei sinnlos, etwas auswendig lernen zu wollen.

Kommen wir auf Ihre neue Platte zu sprechen. Diese steht bereits in den Startlöchern?

Sie wird wahrscheinlich im Frühjahr 2013 rauskommen. Über das genauere Releasedate muss man nicht sprechen, bevor man die Arbeit nicht getan hat.

Unterscheidet sich Ihr Album, als ein geschlossenes Werk, von den vorangegangenen EP-Projekten und Remixen?

Ich verfolge meine Grundidee des Layerns weiter und werde das Album sehr melodiös aufziehen. Zwischen den Tracks soll es keine Pausen geben: ein Konzertalbum, eine Symphonie, die über 60 bis 80 Minuten geht. Zwischendrin gehe ich immer wieder auf Halfbeat und werde dann wieder schneller. Es wird viele Beats geben, die elektronisch produziert sind, die gar nicht nach Techno klingen und sich eher in Richtung Electro bewegen.

Wie viel Freiheit haben Sie auf Ihrem Label?

Also ich hab das Gefühl, dass ich da schon der Chef in meiner Musik bin. Es weiß auch jeder, dass man mit mir nicht arbeiten kann, wenn man mich einschränkt. Und im Endeffekt hat keiner was davon, wenn man an der Quelle sägt.
Die Fragen stellte Andreas Fertig.

Copyright: Goethe-Institut Russland
Online-Magazin „Deutschland und Russland“
September 2012

Dieser Artikel ist erstmalig auf den Seiten des Goethe-Instituts Russland http://www.goethe.de/Russland/Magazin erschienen.

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