Kann man Chemie popularisieren?

К русской версии интервью: Можно ли популяризовать химию?

Iwan Ochapkin, herausgebender Redakteur der Zeitschrift „New Scientist“ über schmutzige Arbeit, sauberen Urlaub, intelligente Polymere und Laien im Wissenschaftsjournalismus.

Zu Ihren Hobbys zählt der Ökotourismus. Chemie und Ökotourismus – bedeutet das schmutzige Arbeit und sauberen Urlaub?

Ich bin Chemiker. Chemie ist wirklich schmutzige Arbeit. Darin besteht ihr Nachteil. Jetzt gibt es in der Chemie aber eine Richtung, mit der man versucht, diese Arbeit sauberer zu gestalten. In Russland stehen wir damit erst ganz am Anfang. Insbesondere betrifft das die Arbeit mit den sogenannten superkritischen Lösungsmitteln.

In Ihrem Vortrag „Wissenschaft für Alle: der Weg aus dem Labor zum breiten Leserpublikum“, den Sie am 5. März im Goethe-Institut Moskau gehalten haben, stellten Sie fest, dass die Theorie von der globalen Erwärmung in Russland keine sonderliche Zustimmung findet.

Ich möchte betonen, dass ich in meinem Vortrag nicht von der Theorie der globalen Erwärmung an sich gesprochen habe, sondern darüber, wie dieses Thema in den ausländischen Massenmedien kommuniziert wird. Das geschieht mit Hysterie und emotionsgeladen. Vielleicht ist das eine Besonderheit des Journalismus im Ausland, für uns allerdings ist ein solcher Stil nicht ganz geeignet. Wir versuchen, die Artikel zu diesem Thema verständlich und unterhaltsam zu gestalten und möchten die Menschen informieren, dass solche Probleme existieren. Ich bin der Meinung, man sollte den Lesern die Entscheidung, ob etwas der Wahrheit entspricht oder nicht, stärker selbst überlassen. Sprich: mehr objektive Informationen vermitteln.

Ihre Spezialisierung liegt auf dem Gebiet der Polymere?

Polymere sind – einfach ausgedrückt – Kunststoffe. Fast jeder Gegenstand, mit dem wir im Alltag in Berührung kommen, besteht aus Polymeren. Kleidung, Autos, Kunststoffgeschirr. Aber gegenwärtig sind es weniger diese Konstruktionspolymere, die weltweit im Fokus des Interesses stehen, sondern die sogenannten intelligenten, funktionalen Polymere, die sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen. Nehmen Sie den Gedächtniseffekt oder den Schwärzungseffekt, die eintreten, wenn man Polymere beleuchtet, oder den Trübungseffekt, wenn man sie mit Säure übergießt. Aus ihnen werden zum Beispiel Überzüge für Tabletten hergestellt, die sich nicht im Magen auflösen sollen, sondern im Darm, oder Hüllschichten für Nanokapseln, die direkt zu den Zielzellen gelangen und dort zerstört werden sollen.

Chemie wird häufig als eine komplizierte Wissenschaft angesehen. Gibt es bestimmte Strategien oder Szenarien zur Popularisierung und Visualisierung chemischer Gesetze und neuer Entdeckungen?

In der Tat ist es schwieriger die Chemie zu popularisieren als beispielsweise die Physik. Das hängt vor allem mit den Formeln und den Bezeichnungen für die große Fülle der Substanzen zusammen. Während es in der Physik möglich ist, gleichbedeutende Bezeichnungen aus der Alltagssprache zu finden, ist das in der Chemie meiner Erfahrung nach schwierig und man muss sehr anschauliche Prozesse und Reaktionen einbeziehen, über die man erzählen kann. Deshalb reden wir über Chemie, wie sie in unseren elektronischen Geräten genutzt wird. Wir reden über Chemie, die anschaulich-nachvollziehbar ist. Wie den Begriff der oszillierenden Reaktion zum Beispiel, unter der man eine Reaktion versteht, die zunächst in der einen Richtung verläuft und dann aus irgendeinem Grund in der umgekehrten. Man könnte noch mehr Beispiele aus der Molekularbiologie bringen. Diese ist etwas leichter zu vermitteln, weil sich dort alle Formeln in Objekten manifestieren, die man visualisieren und schematisch darstellen kann.

Wie kann man dem Leser komplizierte wissenschaftliche Themen erklären?

Dafür gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Mitteln: die Vereinfachung des Textes und die Infografik. Infografik bedeutet, dass der Großteil des Textes in Bildern umgesetzt wird. Ehrlich gesagt, ist für mich die Infografik keine wirkliche Form der Erläuterung. Wäre ich Leser einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift, würde ich mich nicht mit der Infografik auseinandersetzen, sondern den Text bevorzugen. Texte sind für mich leichter zugänglich als Bilder. Letztere verstehe ich als auflockernde Ergänzung zum Text und eine Möglichkeit, die Augen zu entlasten. Man verfolgt einen Text und plötzlich kommt ein Bild. Das bedeutet eine Pause und Entspannung. Natürlich kann in besonders schwierigen Fällen eine Infografik hilfreich sein. Als Redakteur und Redaktionsmitglied platziere ich Infografiken deswegen, weil sie allgemein als nutzbringend gelten.

Vor kurzem ist eine neue Geschichtszeitschrift mit dem Titel „Diletant“ (Der Laie) erschienen, die zahlreiche Diskussionen ausgelöst hat, wer sich mit Geschichte befassen sollte. Laien, Interessierte oder tatsächlich nur Historiker? Inwiefern gibt es einen solchen Diskurs zwischen Laien und Fachleuten auch in Ihrer Zeitschrift?

Wir brauchen sowohl die Laien als auch die professionellen Wissenschaftler. Weil es passieren kann, dass der Laie etwas bemerkt, was der Fachmann mitunter übersieht. Der Experte sollte den Laien jedoch kritisch begleiten, damit dieser dem Ruf der Zeitschrift und dem Ruf des Wissenschaftlers nicht schadet. Der Laie hat stets eine unverbrauchte Sicht auf die Dinge. Diese kann falsch sein, aber sie ist in jedem Fall unverbraucht. Und auch wenn der Laie sich in 90 von 100 Fällen irrt und etwas Falsches schreibt, dann muss der Fachmann ihn korrigieren. Aber in jedem zehnten Fall wird der Experte feststellen: „O, das ist eine frische Idee! Die muss man entwickeln!“ Das ist ein ganz normaler Vorgang in der Wissenschaft und bei jeder anderen Sache auch, wenn der Laie kommt und sagt, wir wollen es so machen und er bekommt zu hören, dass es nicht geht. Aber der Laie macht es trotzdem. Nur so ist Entwicklung möglich.

Iwan Ochapkin (geb. 1981), herausgebender Redakteur der monatlich erscheinenden populärwissenschaftlichen Zeitschrift New Scientist (russische Ausgabe). Er absolvierte die Fakultät für Chemie an der Moskauer Staatlichen Lomonossow-Universität und verteidigte seine Dissertation als Dr. rer.nat. Erforschte Polymere am Institut für elementorganische Verbindungen „A.N. Nesmejanow“ bei der Russischen Akademie der Wissenschaften und an der Universität Ulm, hat Publikationen in den Zeitschriften Nano Letters, Advances in Polymer Science, Langmuir und Macromolecules veröffentlicht. Seit 2009 betreibt er Wissenschaftsjournalismus. Spricht Englisch und Französisch. Hobbys: Sport (Fußball, Basketball, Tennis), schöne Literatur, Ökotourismus quer durch Russland.

Die Fragen stellte Andreas Fertig.

Übersetzung: Marlies Wenzel

Copyright: Goethe-Institut Russland
Online-Magazin „Deutschland und Russland“
Mai 2012

Dieser Artikel ist erstmalig auf den Seiten des Goethe-Instituts Russland http://www.goethe.de/Russland/Magazin erschienen.

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