Zwischen 1991 und 1994 war Kathinka Dittrich van Weringh ma�geblich an der Gr�ndung der Institutsniederlassung in Moskau beteiligt. Die erste Direktorin des Instituts hatte �ber die spannenden und turbulenten Anf�nge in Moskau bereits Mitte der 1990er in ihrem Buch Abenteuer Moskau erz�hlt. In diesem Interview blickt sie noch einmal zur�ck.
Frau van Weringh, was hat f�r Sie den Ausschlag gegeben, das Buch zu schreiben?
Die Idee kam eigentlich von zwei Seiten. Zun�chst fragte mich Juri Sdorowow, der letztendlich f�r die russische Ausgabe verantwortlich war und damals in einem Verlag arbeitete. Dann sprach mich noch ein sehr guter �bersetzer russischer Literatur (ins Deutsche) darauf an. Er meinte, ich m�sse unbedingt ein Buch �ber meine Zeit in Moskau schreiben. Ich fing an dar�ber nachzudenken, als dann auf einmal ein Verleger aus Deutschland anrief und fragte: �Wollen Sie nicht ein Buch dar�ber schreiben?� Ich hatte zwar gar keine Zeit daf�r, habe aber zugesagt, denn Moskau hat mich sehr bewegt. Ich war sehr gern hier und wollte dar�ber erz�hlen. Es w�re auch schade, wenn das alles einfach weg w�re. Dieses Buch wollte ich auch unbedingt �geerdet�, also menschlich und nicht so abstrakt gestalten.
�Die Pflege der deutschen Sprache im Ausland und die F�rderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit“ – so lautet der Auftrag des Goethe-Instituts. Wie w�rden wir das im Riesenreich Sowjetunion umsetzen k�nnen? […] W�rde man also verstehen, was wir wollen? W�rden die sowjetischen Beh�rden versuchen, unsere Programme inhaltlich zu kontrollieren und zu zensieren? W�rden wir auf starke Ber�hrungs�ngste sto�en?� (Abenteuer Moskau, Kathinka Dittrich van Weringh, S.88)
War Ihr Tagebuch die Grundlage f�r �Abenteuer Moskau�?
Nein, ein Tagebuch habe ich nicht gef�hrt, aber ich hatte immer meinen proppenvollen Kalender zur Hand. Das half mir zu rekonstruieren, was ich wann und mit wem gemacht habe. Dazu kam nat�rlich auch mein eigenes Erleben. Es brannte sich doch sehr viel ein. Das Goethe-Institut in einem neuen Land von Null aufzubauen � das ist eine Aufgabe, die man wahrscheinlich im Leben nicht noch mal bekommt. Heute k�nnte ich das Buch aber nicht mehr schreiben, weil die Erinnerungen nat�rlich von neueren Erfahrungen �berlagert sind. Damals war alles ganz lebendig. Die russische Variante hab ich ja bereits in Moskau angefangen zu schreiben. Die deutsche Version fing ich dann in K�ln an und diese Variante ist um einige weitere kulturpolitische Kontexte erg�nzt worden.
Was war die gr��te Herausforderung Ihrer Arbeit im kulturellen Bereich?
Eigentlich kannte ich am Anfang nur sehr wenige Leute in Moskau. Die Strukturen, die Netzwerke waren mir unbekannt. Aber durch die wenigen Menschen, die ich damals kannte, habe ich sehr rasch begriffen, wie wichtig es war, dass diese Menschen wussten, wer der Experte auf dem jeweiligen Gebiet ist, sei es nun Architektur oder Design. Oder dass sie jemanden kannten, der jemanden kennt. Und noch wichtiger war es jemanden zu finden, dem man vertraut. Das war f�r mich das Neue im Vergleich zu anderen L�ndern.
Auf der kulturellen Seite, die mir nat�rlich besonders am Herzen liegt, kann ich einfach keine Probleme ausmachen. Weil die Leute wirklich eine ungeheure Offenheit hatten und h�chst gebildet waren. F�r mich stand nie die Frage im Raum „Was interessiert Deutschland?“, sondern was interessiert die Menschen hier, in Russland. Und dann schaut man, ob man auf dem Gebiet etwas Qualitatives zu bieten hat. Es gibt auch Themen, wo wir qualitativ schwach sind. Wir konnten aber gemeinsam mit der russischen Seite etwas entwickeln, wovon wir alle etwas hatten.
�Was erwartete man inhaltlich von uns, in unseren drei Arbeitsbereichen kulturelle Veranstaltungen, Sprach- und Bibliotheksarbeit? W�rden wir die richtigen Partner finden, also seri�se Pers�nlichkeiten und Institutionen, die auch die n�tige Professionalit�t mitbringen?� (Abenteuer Moskau, Kathinka Dittrich van Weringh, S.88)
So wollten wir Anfang der 1990er nicht einfach Pina Bausch pr�sentieren, sondern immer an das hier Gewesene oder Vorhandene ankn�pfen. Sergej Djagilew, russischer Herausgeber, Impresario und Erfinder der Ballets Russes, war beispielsweise in den 1920er-Jahren die Avantgarde. So arbeiteten wir damals zusammen mir der russischen Seite ein Konzept und das gemeinsame Programm aus. Die Ergebnisse konnten wir nicht nur in Russland, sondern kurze Zeit sp�ter auch in Wuppertal zeigen. Ein anderes sch�nes Thema ist Film. Ich traf mich mit dem Filmhistoriker und Kritiker Naum Klejman, er leitete das damals noch bestehende Filmmuseum. Dieses Museum war ein Treffpunkt erster G�te. Naum kennt die Filmgeschichte nat�rlich par excellence. Mir seiner Hilfe haben wir Themen entwickelt, die f�r beide Seiten spannend waren.
Wie war damals, also 1991-1994, der Draht zur Zentrale des Goethe-Instituts in M�nchen?
Das war wunderbar! Kein Mensch von au�en hatte damals eine Ahnung, wie es in der Sowjetunion tats�chlich zugeht. Und die Zentrale gew�hrte mir absolute Freiheit und hat mich total unterst�tzt. Ich bin explizit gegen die Idee des Kulturexports. Meine �berlegung war: Ich muss so schnell, wie es irgendwie geht, erfassen, wo ich bin. Was sind die Neugierden? Was interessiert die Leute? Wie macht man es in diesem Land? Wo k�nnen wir ein Miteinander, ein �Wir� entwickeln. Und das meine ich nicht nur im administrativen Sinne, dass man beispielsweise Raum oder Technik miteinander teilt, sondern wir machen innerlich was zusammen.
Der einzige Punkt war der, dass ich immer gewarnt habe, dass die Zentrale die Entsandten (die Mitarbeiter aus Deutschland) blo� nicht im Winter schicken m�ge. Sie gehen hier ein, wenn sie im Dezember entsandt werden. Es gab ja damals weder Fisch noch K�se noch Obst oder Gem�se zu kaufen. Die ganze Stadt ist grau. Schickt sie doch bitte im Fr�hling nach Russland. Aber nein, alle Entsandten kamen im Winter hierher.
Und was haben sie dann gemacht?
Da gab es einen wundersch�nen „Gro�en Markt“ (Bolschoi Rynok) und dort haben wir alles, was Farbe hatte, eingekauft, in meinen kleinen VW gestopft und an unsere Mitarbeiter �bergeben. Aber das waren Probleme �u�erlicher Art. Die sind ja unwichtig. Kein Fisch, kein K�se, na und? Isst man halt keinen.
�Dem riesigen sowjetischen Imperium, das nun zerbr�selt, muss man diese Zeit, wahrscheinlich noch ein paar Jahre mehr, auch zubilligen � Dennoch: es k�nnte gl�cken, dieses revolution�re, alles umw�lzende Experiment. Die Aussichten sind nicht gro�, aber doch gegeben � auf russische Art.� (Abenteuer Moskau, Kathinka Dittrich van Weringh, S. 200-201)
Wenn man jetzt ans Ende des Buches springt, so stellt man fest, dass die letzten zwei Seiten recht pessimistisch erscheinen, was Russlands politische Entwicklung angeht. Ihr letzter Satz ist dennoch sehr hoffnungsvoll und bricht das Ganze ein wenig auf. Wie war es damals, diese letzten Seiten zu schreiben, Abschied zu nehmen?
Das war wirklich zweigeteilt. Auf der einen Seite war ich mir ganz sicher, dass dieses Land gar nicht untergehen kann. Weil die Menschen hier so sind, wie sie sind � warmherzig, sich durchsetzend, Dinge nicht so tragisch nehmend, anpassungsf�hig. Auf der anderen Seite ging es politisch schon ziemlich chaotisch zu. Die Jelzin-�ra hat ungeheure Freiheit gebracht. Irgendwann war es einem gar nicht mehr klar, was Freiheit ist, denn es war ja alles erlaubt. Da dachte ich: Oh Gott, hoffentlich geht das auf Dauer gut. Und es ging auch gut in dem Sinne, dass man langsam lernen musste, was Freiheit hei�t, dass Freiheit auch mit Verantwortung verbunden ist. Damals konnte man dieser extremen Pendelbewegung, dieser extremen Ausladung ja regelrecht zusehen.
Frau Dittrich van Weringh, haben Sie vielen Dank f�r das Interview.
Kathinka Dittrich van Weringh, Jahrgang 1941, studierte in Heidelberg, Hamburg, Manchester und M�nchen Geschichte, Anglistik und Politikwissenschaft. Sie schrieb ihre Dissertation Ende der 1980er-Jahre �ber den niederl�ndischen Spielfilm der drei�iger Jahre und die deutsche Filmemigration. Ab 1967 war sie beim Goethe-Institut besch�ftigt, leitete das Goethe-Institut in Amsterdam und von 1991 bis 1994 das Goethe-Institut in Moskau. In den Jahren 1994 bis 1998 hatte sie das Amt der Kulturdezernentin der Stadt K�ln inne. 1995 wurde ihr f�r ihre Verdienste um den deutsch-russischen Kulturaustausch der Alexander-Men-Preis verliehen. Von 2003 bis 2007 war sie Mitglied im Vorstand der Europ�ischen Kulturstiftung in Amsterdam.
Angaben zum Buch:
Weringh, Kathinka Dittrich, Abenteuer Moskau, ISBN: 9783462024357, Kiepenheuer & Witsch, K�ln 1995
Das Interview f�hrte Andreas Fertig
Goethe-Institut Russland
M�rz 2012
Dieser Artikel ist erstmalig auf den Seiten des Goethe-Instituts Russland http://www.goethe.de/Russland/Magazin erschienen.