Vom 19. bis 21. Februar 2013 findet in Archangelsk im Rahmen des Deutschlandjahres in Russland 2012/13 die Internationale Konferenz „Museen in die Zukunft“ statt. Die Direktorin des Heimatmuseums Archangelsk, Nadeschda Nikolajewna Podopljokina, erzählt über die Suche nach neuen Entwicklungswegen für die Museen im Gebiet Archangelsk und die Kooperation mit ausländischen Kollegen.
Nadeschda Nikolajewna, erzählen Sie uns bitte über Ihr Museum!
Unser Museum ist groß. In unserer Obhut befinden sich zwei Denkmäler von föderaler Bedeutung, die uns zur kostenlosen Nutzung überlassen wurden: der Gostiny Dwor (deutsch etwa: Handelshof) und die Festung Nowodwinskaja. Außerdem gibt es im Gebiet noch drei Filialen unseres Museums und mehrere kommunale Museen. Das Gebiet Archangelsk umfasst eine große Fläche, einige Rayons sind nur schwer zugänglich. Unsere Kollegen haben nicht immer die Möglichkeit, an neue Informationen zu kommen. An vielen Orten fehlt das Internet. Im Moment versucht das Heimatmuseum Archangelsk die Anstrengungen aller Museen bei der Suche nach neuen Entwicklungswegen zu bündeln. Bei uns ist das Programm „Laboratorium für Museumskooperation“ angelaufen. Und es beinhaltet nicht einfach nur Fortbildungskurse. Das Programm hat vor allem die Aufgabe, gemeinsam neue Projekte zu entwickeln, für diese eine Finanzierung und Partner sowohl in Russland als auch im Ausland zu finden. Die praktischen Erfahrungen europäischer Museen sind für uns sehr interessant, insbesondere was die Arbeit mit den Besuchern angeht.
Was wäre kurz über das Personal des Museums, seine Abteilungen und seine Finanzierung zu sagen?
Unser Museum wird aus staatlichen Mitteln finanziert. Sein Personalbestand und die Struktur unterliegen zurzeit ständigen Veränderungen. Wir sind auf der Suche nach einem für uns geeigneten neuen Entwicklungsmodell. In unserem Museum sind gebietsweit insgesamt 150 Mitarbeiter beschäftigt. In erster Linie handelt es sich dabei um Personal des Dienstleistungsbereichs, einschließlich Hausmeister und Aufsichtspersonal. Die Zahl der Museumsfachleute und -führer ist gegenwärtig leider relativ gering.
Wie kam es, dass Ihr Museum die Räumlichkeiten der Handelshöfe in Archangelsk bezogen hat? Wie harmonisch fügt es sich in diesen Architekturkomplex ein?
Der Handelshof Gostiny Dwor ist eines der ältesten Gebäude der Stadt. Vor 30 Jahren wurde es dem Heimatmuseum Archangelsk übergeben. Wobei das Gebäude damals Museum, Depot für Fremdmuseen und Zeitungsdruckerei in einem war. Unsere Mitarbeiter haben eine Dokumentation erstellt, Mittel für die Restaurierung dieses föderalen Denkmals eingeworben und durchgesetzt, dass es in die Maßnahmen des föderalen Zielprogramms des Kultusministeriums einbezogen wurde. Der Handelshof wurde etwa zehn Jahre lang restauriert. 2012 wurde ein Teil der Räumlichkeiten der Öffentlichkeit übergeben, es handelt sich dabei um zehn Säle, die ausgestattet werden müssen und für die Personal benötigt wird. Jetzt befindet sich der nächste Abschnitt in Restaurierung. Die Sicht auf die Rolle von Museen hat sich sowohl in Russland als auch weltweit gewandelt und auch wir wollen weg von der reinen Aufbewahrungsfunktion.
Wann stellten Sie denn fest, dass für Ihr Museum Veränderungsbedarf besteht?
Die Restaurierung der zweiten Hälfte der Rüumlichkeiten dauert noch an. Und natürlich brauchen wir ein modernes Kulturzentrum. Dafür hat das Museum eine Konzeption und Entwicklungsstrategie entwickelt. Uns ist sehr schnell klar geworden, dass wir ohne die Hilfe und Erfahrungen unserer europäischen Kollegen nicht auskommen werden. Wozu denn das Rad neu erfinden? Manchmal ist es einfacher vorhandene Erfahrungen auszuwerten, sie an unsere Bedingungen anzupassen und erfolgreich zu arbeiten und zu kooperieren.
Im Dezember 2012 haben Sie in Archangelsk ein internationales Forum mit frei zugänglicher Online-Übertragung durchgeführt…
Zunächst hatten wir mit eigenen Kräften eine Zusammenkunft aller Museumsmitarbeiter unseres Gebietes durchgeführt, um die Erwartungen und Wünsche an den einzelnen Standorten zu sondieren. Zum ersten Seminar im Oktober haben wir unsere Kollegen aus dem Kreml-Museum eingeladen. Im November folgte das nächste Forum und im Dezember dann ein Forum im großen Rahmen, bei dem wir erste Projekte andachten, unter anderen auch die Idee zur Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut und der Robert-Bosch-Stiftung entwickelten. Im Ergebnis legten wir für die weitere Entwicklung folgende Schwerpunkte fest: zeitgenössische Museumspödagogik, neue Ideen im Bereich Souvenirartikel, moderne Trends bei Aktivitöten im Werbe- und Informationsbereich, Online-Öffentlichkeitsarbeit, neue Möglichkeiten für Ausstellungskonzepte und virtuelle Museen. Nun wollen wir in gemeinsamer Arbeit, die über den bloßen Gedankenaustausch hinausgeht, greifbare Ergebnisse erreichen.
Wie wird die Entwicklung der Museen mit der Entwicklung des Tourismus im Gebiet Archangelsk verknüpft?
Das ist für uns eine sehr aktuelle Frage, weil das Heimatmuseum Archangelsk selbst, die Handelshöfe und die Festung Nowodwinskaja das Markenzeichen unserer Stadt und der Region sind. Es gibt bei uns Ausstellungen mit historischen Inhalten. Wir planen ebenso Expositionen über die Natur des Hohen Nordens. Erfahrung im Umgang mit ausländischen Touristen haben wir kaum, das möchten wir ändern.
Finden die Belange ausländischer Besucher bei der Planung von Ausstellungen Berücksichtigung?
Die Museen bieten Potenzial für die Entwicklung des gesamten Gebietes. Umso mehr als unsere einzigartigen historischen Städte wie Kargopol und Solwytschegodsk ein Mekka für in- und ausländische Touristen sind.
Welche Neuerungen konnten Sie bisher schon realisieren?
Wir bieten interaktive Touren an und verfügen über eine elektronische Volltextbibliothek in den Museumssälen. Im Moment läuft bei uns das Projekt „Virtuelle Geschichten“. Dahinter verbirgt sich ein Rundgang außerhalb des Museums mit virtuell dargebotenen Informationen. In vielen europäischen Ländern gibt es solche auf QR-Code-Tafeln basierenden Rundgänge schon lange. Man richtet die Kamera des Mobiltelefons auf den Code und erhält zusätzliche Informationen, zum Beispiel über die Geschichte des Gebäudes, historische Aufnahmen desselben und so weiter. Vorerst testen wir dieses Modell nur in der Stadt Archangelsk. Auf diese Weise machen wir zahlreiche Fotos, Stiche und Temperagemälde aus unseren Museumsbeständen zugänglich. Denn das Fassungsvermögen unserer Ausstellungssäle ist sehr begrenzt. Später wollen wir dieses Modell auf das gesamte Gebiet Archangelsk ausdehnen und alle Museen mit einer gemeinsamen touristischen Route verknüfen.
Nadeschda Nikolajewna, suchen Sie auch den Dialog mit dem Besucher?
Diesbezüglich haben wir großen Nachholbedarf, aber uns ist klar, dass dieser Dialog ein Muss ist. Besonders viel Feedback bekommen wir nicht. Wenn jemand mit unseren Dienstleistungen unzufrieden ist, wird das zurzeit nur in mündlicher Form an uns herangetragen.
Wie entstand die Idee zur Ausstellung „Deutsche in Archangelsk“?
Wir als Heimatmuseum widmen uns der Regionalgeschichte. Das Gebiet Archangelsk ist eine jener Gegenden in Russland, für die uneingeschränkt gilt, niemals ausschließlich von Russen besiedelt gewesen zu sein. Und bis zur Erbauung von Sankt Petersburg reisten alle ausländischen Kaufleute hierher, in die Handelshöfe. Der hiesige Handelshof hatte einen ganzen Komplex speziell für Deutsche. Viele der ausländischen Kaufleute blieben hier, integrierten sich. Ein zweiter Aspekt ist, dass über Archangelsk viele Handelswege führten. Und unsere Kaufleute traten ihre Handelsreisen nach Europa und Skandinavien oftmals von hier aus an. Und drittens kommt hinzu, dass diese Gegend Verbannungsort für Entkulakisierte war. Die erste Welle der Verbannten im Jahr 1923 bestand überwiegend aus Deutschstämmigen. Sie wurden hierher in die Wälder des Nordens geschickt. Im besagten Jahr 1923 wurde auch mein Urgroßvater hierher verbannt. Das Museum hat in dieser Ausstellung die Geschichte zahlreicher Familien vereint und zeigt, wie viel sie hier getan haben und wie sie die deutsche Kultur bewahren.
Was ist für Sie bei Ihrer Arbeit am wichtigsten?
Das Wichtigste im Museum sind die Menschen, die hier arbeiten. Und wenn diese Menschen nicht wären, dann würen auch die Ausstellungsstücke nicht erhalten geblieben. Denn sehr viele Mitarbeiter haben seinerzeit aus den von Schließung bedrohten Klöstern und Gotteshäusern – im Angesicht drohender Repressionen – die Gegenstände hierher verbracht, die heute Ausstellungsexponate sind. Genau diese Menschen haben das Museum geschaffen. Viele unserer Mitarbeiter sind schon sehr lange bei uns, das hindert sie aber nicht daran den Wunsch zu haben, die Dinge zum Besseren zu wenden, Neues auszuprobieren. Ich möchte noch das Allerwichtigste hervorheben. Wir stehen jetzt am Anfang eines langen Weges, am Anfang der Suche nach neuen Arbeitsformen. Ich glaube, was wir jetzt in Angriff nehmen, ist der Anfang eines langen Weges auf der Suche nach neuen Arbeitsformen. Wir freuen uns, dass wir jetzt mehr ausländische Partner haben, dass Internet und elektronische Plattformen uns mehr Möglichkeiten bieten, deren Erfahrungen auszuwerten. Möglicherweise können auch unsere Partner in irgendeiner Form von uns profitieren.
Die Fragen stellte Andreas Fertig.
Übersetzung: Marlies Wenzel
Goethe-Institut Russland
Februar 2012
Dieser Artikel ist erstmalig auf den Seiten des Goethe-Instituts Russland http://www.goethe.de/Russland/Magazin erschienen.