Wir waren jung – wir haben uns verliebt.

Die Regisseurin Tamara Trampe spricht über ihren Film „Meine Mutter, ein Krieg und ich“. In diesem Film eine Begegnung mit ihrer Mutter, die als junge Krankenschwester in den Krieg. Was als ein autobiografischer Film beginnt, entwickelt sich zu einer Abhandlung über Verletzungen, welche jeder Krieg mit sich bringt und welche weit in die Nachkriegsgenerationen reichen, ohne dabei den subjektiven Blick zu verlieren.

In dem Film „Meine Mutter, ein Krieg und ich“ sind Johann Feindt und ich gleichberechtigte Regisseure und er ist darüber hinaus noch der Kameramann und Produzent. Mit ihm mache ich alle Filme. Wir arbeiten ganz ähnlich und bei uns gibt es gar keine Hierarchien. Wir haben uns, glaube ich, noch nie gestritten und wir lachen viel. Das gehört auch dazu, obwohl die Themen immer nicht zum Lachen sind.

Der Cutter Stephan Krumbiegel hat schon „Wundbrand“ (1994) geschnitten. Unsere erste Zusammenarbeit mit ihm war „Sebnitz – Die perfekte Story“ (2002), ein Fernsehfilm. Später war er bei „Weiße Raben“ (2005), „Wiegenlieder“ (2010) und bei unserem letzten Film „Meine Mutter, ein Krieg und ich“ dabei. Der Kerl ist einfach grandios – einer der besten Schnittmeister. Jule Katinka Cramer, unsere Tonfrau, ist ganz jung und immer gut drauf. Wir sind eine Familie. Es war schön, zusammen zu arbeiten.

Das Thema Krieg hat Johann und mich immer begleitet, sonst hätten wir den Film „Weiße Raben“ über den Tschetschenienkrieg nicht gedreht. Vorher, in Jugoslawien zwischen 1993 und 1995, machten Johann und Didi Danquart den Film „Wundbrand“. Helga Reidemeister und ich drehten dort den Film „Verletzung“. Das Motiv, nach Jugoslawien und nach Tschetschenien zu gehen, war für uns die Verletzung von Kindern, die mit Eltern aufgewachsen sind, die aus dem Krieg zurückgekommen sind. Was haben sie dort erlebt, dass sie danach so geworden sind. Über welche Erlebnisse weigern sie sich zu sprechen?

Wir haben mal mit einem Kollegen ein Film über Stefan Heym gemacht, und der sagte zu mir: „Als ich aus dem Krieg zurück bin, da war es für mich so, als wäre zwischen mir und den Menschen, die nicht im Krieg waren, eine Glasscheibe. Und ich habe mein Leben lang versucht, dass sie das nicht bemerken.“ Genau das gleiche hat mir mal ein ehemaliger Offizier aus Sankt Petersburg erzählt.

Den Film „Meine Mutter, ein Krieg und ich“ haben wir Ende November 2012, sozusagen zu meinem 70. Geburtstag gedreht. Es gab nur diese eine Reise und in 13 Tagen war das Filmmaterial fertig. Meine Mutter haben wir schon zwei Jahre davor aufgenommen, als wir den Film „Wiegenlieder“ machten. Darin sollte sie ursprünglich vorkommen, aber wir merkten, dass es ästhetisch gar nicht passt und danach ruhte dieses Material.

Ich gehörte mal zu einer Gruppe aus fünf Regisseuren und zwei Kameraleuten namens „Der zweite Blick“. Unser Traum war damals, zusammen mit den Sendern etwas zu entwickeln. Das hat nicht geklappt. Und dann, nach zwanzig Jahren wollten wir einen zweiten Anlauf nehmen. Wir haben uns überlegt, dass jeder einen kleinen Film macht, der sich auf das Material bezieht, das man schon mal gedreht hat. Von den ganzen Projekten wurden zwei realisiert – „Pepe Mujica“ (2015) von Heidi Specogna und der Film über meine Mutter.

Meine Mutter hat ja immer Gespräche über den Krieg verweigert. Dann aber war sie plötzlich bereit, darüber zu sprechen. Der Auslöser war die Nähe des Todes – nichts weiter. Sie hat es geahnt. Und dann war sie bereit. Vor 40 Jahren hatte ich ein Rundfunkinterview mit ihr für ein Feature gemacht. Das hieß „Nein, Orden habe ich keine…“ Aber da hat meine Mutter eigentlich nur Witze gerissen.

Auch mein Vater hat mit mir nicht über den Krieg gesprochen. Er hatte ja diese Splitter im Kopf und ist früh gestorben. Ich hatte gar nicht die Zeit, mit ihm darüber zu sprechen.

Wir wollten den Film mit dem Schneefeld, dem Ort meiner Geburt anfangen. Dann habe ich aber gesagt: „Kinder, ich will nicht mit der Tür ins Haus fallen“. Da haben wir diese beiden Familienfotos am Anfang eingesetzt. Bei dem ersten Foto von 1939 sieht man meinen Großvater noch, dann bei dem Nachkriegsfoto von 1950 fehlt er bereits, sowie zwei seiner Söhne. Ich habe es mir so vorgestellt und das klappt vorzüglich, dass die Zuschauer wenn der Text kommt, die gerade genannten Personen im Bild suchen, sich fragen wer war nochmal der Großvater? Der mit der Zigarette in der Hand? Dabei wird dem Zuschauer am Anfang des Films eine hohe Konzentration abverlangt. In diesem Moment hat man aber das Publikum aufmerksam gemacht und nun kann die Geschichte anfangen. Jetzt geht es auf das Feld, wo ich 1942 geboren wurde.

Bis ich auf diesem Feld stand, habe ich nicht realisiert, dass meine Mutter mich nach der Geburt auch hätte liegen lassen können. Es war nachts um vier, stockdunkel, keiner wusste etwas von ihrer Schwangerschaft. Es war für mich ein großes Glücksgefühl, zu sagen „Mutter, das war eine große Leistung von dir, mich einfach aufzuheben und in mein erstes Kleidungsstück, in einen Armeepelzmantel zu stecken!“

Ich liebe ja geheimnisvolle Anfänge, bei dem Film „Weiße Raben“ läuft der Afghanistanveteran auf einem Feld – niemand weiß, wo das ist. Das finde ich wunderbar! Bei solchen Filmen bleibe ich auch immer im Kino sitzen. Wenn aber das Thema sofort da ist, bin ich unruhig, stehe bald auf und gehe raus. Ich habe jahrelang im Filmauswahlkomitee von DOK Leipzig gearbeitet. Das wichtigste ist für mich beim Sichten war immer die Handschrift. Selten war das Thema eines Films für mich ausschlaggebend. Ich würde nie ein Film auswählen, welcher nicht gut erzählt ist aber ein Thema bedient. Dokumentarfilm ist Film – das heißt Kunst und kein Journalismus. Und das erwarte ich dann auch, dass ich einen subjektiven, einen ganz eigenen Blick eines Machers sehe. Danach habe ich immer gesucht.

Wir hatten für die 13 Tage Drehzeit einen strengen Plan. Angefangen haben wir gleich mit meinem Onkel Ivan. Dann fuhren wir zu den Krankenschwestern in die Nähe von Woronesch. Dort in Usman habe ich meine Geburtsurkunde auf dem Standesamt (ZAGS) gefunden. Ich habe auch das Haus gefunden, wo meine Mutter mich bei einer Amme abgegeben hatte, solange sie im Lazarett als Krankenschwester gearbeitet hat. Danach sind wir zurück in die Ukraine gefahren und haben die drei letzten lebenden Frauen gefilmt. Sie waren alle in der Nähe von Senelnikowo.

Ich hatte ja gar keinen Fragebogen, denn mir war wichtiger, diese Frauen zu sehen. Das sind die letzten Zeugen. Das andere kann man nachlesen. Aber zu sehen, wie sie langsam die Worte finden, wie sie die Hände kneten, wenn sie über Hinrichtungen erzählen – das war mir wichtig. Oder diese Verletzung zu spüren, wenn ich sie gefragt hatte, wie man die Frauen nach dem Krieg empfangen hatte. „Sie wollten uns nicht haben…“ war die Antwort. Das waren für mich die wesentlichen Sachen. Ich denke, für diese Frauen war unser Besuch etwas Wichtiges.

Irgendwann dann sagten sie aber: Wir waren alle jung – wir haben uns alle verliebt. Das Thema war Tabu! Eine russische Journalistin hat über den Film gesprochen und sagte, das Wesentliche für sie in unserem Film ist, dass zwei Ausländer da waren und endlich den Krieg aus dem Kollektivbewusstsein in das Individuelle geholt haben. Der Krieg ist ja immer ein Kollektivereignis und auch eher ein Männerereignis. Die Frauen waren erst in den 80er Jahren durch das Buch „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ (1983) von Swetlana Alexijewitsch wahrgenommen worden. Es waren aber damals zwischen 800.000 und einer Million Frauen in der Armee. Diese Frauen hat man 30, 40 Jahre lang verschwiegen.

Was ich an unserem Film schön finde, dass er sowohl heiter, wie auch traurig ist, dass man wirklich lachen kann, dass es eine Begegnung auf Augenhöhe ist, und dass es keine Vorwürfe gibt. Auch nicht zwischen Mutter und Tochter. Und das tragen wir auch zu den anderen Frauen im Film. Das finde ich klasse.

Aufgeschrieben von Andreas Fertig. Berlin, den 12. Oktober 2015

„Meine Mutter ein Krieg und ich“
Dokumentarfilm, Deutschland 2014, 78 min.
Regie: Tamara Trampe, Johann Feindt
Kamera: Johann Feindt
Ton: Jule Katinka Cramer
Schnitt: Stephan Krumbiegel
Produktion: Johann Feindt

Links:
Webseite des Films „Meine Mutter ein Krieg und ich“
Wandernde Splitter und Feldgeburten
Artdocfest 2014: Krieg und Bilder
Über den Film „Weiße Raben“

Dieser Artikel ist erstmalig auf den Seiten des Goethe-Instituts Russland http://www.goethe.de/Russland/Magazin erschienen.
 
 

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